TEXTLÜCKE 
Anneliese Coste und Isabel Schmiga im CAN: Centre d`art Neuchâtel


SCHLAGFERTIG
Das Centre d`Art
Neuchâtel zeigt in einer Doppelausstellung die in Zürich lebende französische Künsterin Anneliese Coste und im Studio die Wahlbaslerin Isabel Schmiga.
So unterschiedlich beide Künsterlerinnen auch sind - gemein haben sie, dass sie auf grosse Gesten gerne verzichten, aber im Kleinen umso schlagfertiger sind. Im CAN ballen sich die Arbeiten der beiden zu ganzen Horden oder Schwärmen zusammen - der Begriff "Serie" erscheint hier unangebracht.
Anneliese Coste, die vor allem durch bunte Spaybilder mit All-over-Struktur (turbulences) bekannt wurde, präsentiert ein von vielen hängenden Glühbirnen dramatisch beleuchtetes Rondell mit architektonischen Modellen aus streichholzgrossen Holzstückchen, die Erinnerungen an verschiedendste architektonische Visionen von Chalets bis babylonischen Türmen evozieren, jedoch nie eindeutig zuzuordnen sind.

POST Erfrischend frech und geradeheraus sind Costes Zeichnungen, die sich gerahmt in einer langen Reihe über mehrere Wände hinweg erstrecken und für die die Presseerklärung den schönen Begriff "Postpropaganda" bereit hat. In Kinderschrift und Filzstiftzeichnungen kommentiert Coste das politische Tagesgeschehen genauso lakonisch-unverblümt wie persönliche Befindlichkeiten. Tiefsinniges, Banales oder Poetisches, Guantanamo oder der 32. Geburtstag, werden mit der vermeintlichen Unmittelbarkeit kindlicher Unbefangenheit verhandelt. "Je ne suis pas un couteau suisse" schreibt Coste in Schönschrift auf ein kariertes Blatt Papier.

PAPIER Die meist kleinteiligen Papierobjekte von Isabel Schmiga bewegen sich zwischen Collage und surrealistischem Objekt - Anklänge zum Beispiel an die ironischen Transformationen von Meret Oppenheim tauchen immer wieder auf. Dazu treten sie meist in unheimliche Gefühle weckenden Schwadronen von vielen winzigen, doch umso beängstigeren Elementen auf. Rot geschminkte Münder mit Zahnpastalächeln grinsen durch Gummibänder verzerrt, unzählige Augen, aufgespiesst, zu einer Kette aufgereiht und mit monströsen Wimpern versehen krabbeln in Augenhöhe die Wand entlang, und unter einer Vitrine "lauert" ein kartographisch geordneter Gottesanbeterinnenschwarm.
Die Insekten sind, so erschliesst sich bei näherer Inspektion, aus papiernen Miniaturflugzeugmodellen gebastelt und mit deren Labeln und technischen Details versehen. Dass Schmigas Umgang mit der Schere scharfen Witz besitzt, das beweist auch die Schweizer Flagge, die aussen vor dem CAN hängt: Durch kreisrunde Einschnitte wird das Nationalwappen zum gemeinen Gesellschaftsspiel - Mensch ärgere dich nicht.


EVA SCHARRER

Basler Zeitung, 17.07.2006

MENSCH ÄRGERE DICH NICHT
Schweizer Nationalflagge
400 x 400 cm



PRESSETEXT
Die Werke von Isabel Schmiga sind prägnante Blickfänge mit klarem Wiedererkennungswert. Sie zeichnen sich durch eine poetische Kraft aus, die aus einer eigentümlichen Zusammenführung unzusammen-
gehöriger Objekte und Materialien resultiert.

Isabel Schmigas Vorgehensweise lässt sich als ein kombinatorischer Prozess umschreiben, der an das Collagieren erinnert. In quasi wissenschaftlicher Methode steckt sich die Künstlerin ein konzeptionelles Handlungsfeld für ihr künstlerisches Verfahren ab. Als Zeichnerin und Bildhauerin verquickt sie vorwiegend Materialien aus ihrem unmittelbaren Alltag. Diese decken, von ihrer gezielten Hand verschoben, Zwischenräume von Text und Bild auf. Dieses eigene Spiel zwischen Text und Bild wird in der graphischen Rauminstallation SEAMING besonders augenscheinlich:

Augen, ausgeschnitten aus Hochglanzmagazinen und mit künstlichen Wimpern versehen, werden in Augenhöhe horizontal in einer Linie auf der Wand aneinandergesteckt. Dem gewohnten Platz des Gesichts entwendet werden sie zur kartographischen Borderline, die sich in Wiederholung einzelner "Buchstaben" (Augen) in der Panoramaschau zu einem BLINDtext aneinanderfügen.

Diese Borderline, die auf mikroskopischen Wimpernbeinchen auch selber unterwegs zu sein scheint, schiebt sich in der Nahsicht als BILDtext ins Auge der BetrachterIn. Das Auge ist hier selbst Motiv, aber im Sinne seiner wiederholten Reproduktion des Abbilds.

Isabel Schmiga arbeitet als eine selbständige Forscherin: Sie sammelt Daten, ermöglicht Vergleiche, baut Genealogien auf und hinterfragt dabei gesellschaftskritisch das, was allgemein als Realität bezeichnet wird. Wenn in ihrem Werk von Wissenschaft die Rede ist, geht es nicht um die Bestätigung von Urteilen und Prognosen, sondern um poetische Kollisionen, um Vergegenwärtigung und Sichtbarmachung der Fülle von Bedeutungen, die im "Blinden Fleck" unserer Augen verborgen liegen.

ANNEMARIE REICHEN

Künstlerische Direktorin CAN, Centre d'Art Neuchâtel